JAN-PETER E.R. SONNTAG
SYNTH
Interview zu SYNTH in der Weltkunst
Jan-Peter E.R. Sonntag
SYNTH
Anatomie, Physiologie – Disziplinen der Medizin, physikalische Akustik/Physik, Musik, Mathematik und Philosophie schliessen einander nicht aus. Mit seiner „Lehre der Tonempfindungen als physiologische Grundlage der Theorie der Musik“ verbindet der noch junge promovierte Militärchirurg und Lehrende der Anatomie und Physiologie Hermann Helmholtz in der Mitte des 19. Jahrhunderts alle diese Wissensfelder, um am Ende der genannten Abhandlung eine (Natur-) wissenschaftliche – gleich überprüfbare und verallgemeinerbare – Grundlage der Empfindungen von Harmonie und Disharmonie zu entwerfen, wie sie schon in den Texten der griechisch antiken Philosophen als Grade der Rauigkeit beschrieben sind. In unserer Zeit, mehr als 160 Jahre später, haben sich die Wissensfelder noch feiner ausdifferenziert und zugleich in ihren Methoden Kanoni erweitert. Die großen Summen „Kunst“ und „Wissenschaft“ sind als Bezugsysteme oder diskursive Makro-Kontextfelder so verschieden, dass sie sich keineswegs widersprechen müssen.
Als mein Vater, der wie sein Vater und Großvater als Ohrenarzt praktizierte, seine Fachmedizinische Bibliothek, die über drei Generationen angewachsen war, seiner ehemaligen Uniklinik übergab, hinterliess er mir daraus zumindest meine Lieblingsbücher: Die Lehre der Tonempfindungen und die physikalische Akustik Winkelmanns – Bücher, durch die ich vor allem wegen der Holzschnitte, die die experimentellen Aufbauten einer noch nicht elektronisch gestützten Experimentalpraxis abbildeten, schon als Teenager gerne flanierte. Jahre später, nach dem Tod meines Vater fand ich in dem Helmholtz eine handgeschrieben Karte meines Vaters an mich: „So bleibt wenigstens die Akustik in der Familie“.
Wie das Schreibgerät mitschreibt an unseren Gedanken, formt der Raum, seine Architektur und materielle Beschaffenheit den Klang und das Zueinander, der in ihm zur Schau und zum Erleben gebrachten Dinge. Das Bezugsystem des Formates ”Ausstellung“ ist der Raum. Für Objekte und Installationen hat sich der White Cube als westlich moderne Konvention eines Neutral- oder Reinraumes genauso durchgesetzt wie die Blackbox als Neutralraum für die theatralen, kinematographischen und performativen Künste. Eine Ausstellung von der Syntax eines linearen Textes her zu denken, verkennt die Logik ihres Raumes oder ihrer Räume und schränkt zugleich die Blick auf die gezeigten und formierten Dinge ein. Dinge sind mehr als die dinggewordene Evidenz eines sie benennenden Textes. Glashauben auf Sockeln und im Allgemein Vitrinen schützen die ausgestellten Objekte vor schädlichen Strahlen, Luftzug und vor allem dem unmittelbaren Zugriff durch den Besucher – er darf anschauen aber nicht berühren – wörtlich: den zur Betrachtung ausgestellten Gegenstand nicht begreifen.
Im Zentrum der Ausstellung SYNTH stehen zwei Installationen, die aus meiner Kammeroper SINUS abgeleitet sind. In ihnen kommen die Dinge / Instrumente / Apparate zum Klingen. Die in einer definierten Zeitspanne verlaufenden Kompositionen aus Bild, Text und Klang kontextualisiert sie zudem. In weiteren fünf umgebenden Sälen werden Objekte und Bilder, Apparate und Instrumente im Raum komponiert zu kleinen Narrativen, wie in Formationen des ausgestellten Gelagert-Seins.
SYNTH 1 im dunklen, kellerartigen Erdgeschoss besteht u.A. aus einer HD-Video-Projektion, die die Betrachter in einen zweiten Raum – einen großen White Cube mit quadratischem Lichtdeckenraster – schauen lässt. In ihm zerstören Ausstellungstechniker mit Hämmern, Äxten, Sägen und einem hydraulischen Steiger eine in Trockenbauweise aus Gipskarton, MDF und Metallarmierungen errichtete Architektur, begleitet von Naturtönen eines 4m langen Horninstrumentes. Der weisse, innen kubische Raum, der dort zerstört wird, besteht aus vier Diffraktionhörnern und wurde extra für RAUSCHEN – 2015 im WKV – von mir und meinem Team entwickelt: Schallwandler/Horn und Architektur sind in ihm nicht trennbar. Vier Hörner bilden den Raum, der bei 130db Rauschabstand zwischen 50Hz und 20.000Hz bei höchster Impulsschnelle elektrische Wechselströme in Schallereignisse wandeln kann. Das entspricht einem ganzkörperlichen sinfonischen Klangerleben, für das die Summe des sinfonischen Orchesters, seine Instrumente, Räume und Spieler sich in den letzten 500 Jahren westlicher Musikgeschichte optimiert haben. Was die Besucher jetzt impulsschnell über zwei Exponential-Hornsysteme hören, sind die Geräusche der Raum-Zerstörung, begleitet von einer Textkomposition aus Fragmenten von Mille Plateau und Jelineks Epitaph für Wurstl von digitalen Stimmen in verschiedene Übersetzungen skandiert (Wurstl – ein Musikcomputer, den Elfriede Jelineks Ehemann Gottfried Hüngsberg einst entwickelte für seinen futuristischen Soundtrack der zweiteiligen Fernseh-Verfilmung des Science Fiction-Groschen-Romans Simulacron-3 unter dem Filmtitel Welt am Draht durch Rainer-Werner Fassbinder). Resonierende Basstrommeln mit spiegelnden Membranen stehen um das Modell des zentralen Sektionsaales des tieranatomischen Theaters – eine textuelle und kompositorische Dystopie, in der in Wort, Klang wie Bild Technik- und Kulturreflexionen verschränkt sind. Aus den tausend Plateaus tönen die Gesänge digitaler Mänaden erst in französisch, dann auf deutsch:
„Man kann also nicht mehr von einer Klangform sprechen, die eine Materie organisiert; man kann nicht einmal mehr von einer kontinuierlichen Entwicklung der Form sprechen. Es handelt sich vielmehr um ein sehr komplexes und sehr elaboriertes Material, das die nicht-klanglichen Kräfte hörbar macht. Das Paar Materie-Form wird durch die Verbindung Material-Kräfte ersetzt. Der Synthesizer hat die Stelle des alten ‚synthetischen Urteils a priori‘ eingenommen, und dadurch ändern sich alle Funktionen. Indem die Musik alle Komponenten kontinuierlich variiert, wird sie selber zu einem supralinearen System, zu einem Rhizom anstelle eines Baumes; sie unterstellt sich einem virtuellen kosmischen Kontinuum, zu dem sogar die Löcher, die Phasen der Stille, die Brüche und die Einschnitte gehören.“ – und unisono kontrapunktiert der Jelineksche Chor: „Die Technik ist nichts Abstraktes, die Musik aber ist die Abstraktion schlechthin, ich habe das schon oft gesagt, vielleicht wird es irgendwann einmal wahr, da wir heute Musik ja überall wahrnehmen müssen, oft ganz unfreiwillig, wenn sie sich einem irgendwo aufdrängt. Die Musik ist etwas, von dem man beliebig etwas wegnehmen oder beliebig etwas dazugeben kann (wenn einen der Komponist nicht dafür erschlägt, jedoch die Maschine erschlägt einen nicht, die schlägt einen höchstens beim Spielen, das aber mühelos, und die Maschine hat auch keinen Spielraum, sie hat nur den Raum, den der Techniker ihr einräumt, und sie ist auch noch ihr eigener Interpret, das ist viel verlangt, aber die Maschine hat ja auch viel zu geben!), etwas Beliebiges, das aber in diesem Fall von einem längst gefallenen, doch damals noch festen Gegenstand, einem Gerät, generiert wird. (…) Wie beschreibe ich diese Erzeugung beliebiger Klänge und Abfolgen durch präzise und reproduzierbar steuerbare Oszillatorbänke (Frequenzen), Hüllkurvenmodulatoren (Amplituden) und Filterfunktionen (spektrale Zusammensetzung des Klangs) besser? Besser kann ich es nicht. Die Musik, die schließlich mit dieser Maschine erzeugt wird, kommt nicht von einem Instrument, das im herkömmlichen Sinn „bespielbar“ ist, denn wir spielen längst nicht mehr. Es ist unser Ernst. Was hergestellt werden soll, ist eine komfortable Klangentwicklungsumgebung, in der auch wir noch Platz haben, uns auszubreiten, gleich neben den Klängen. In dieser Umgebung sollen Klänge und Abläufe erprobt werden, es soll aber auch die Speicherung längerer Klangsequenzen, die man, wenn man will, Kompositionen nennen kann, ermöglicht werden. Die Komposition wird jetzt möglich, ohne daß man komponiert.“
Die poetische Meditation entlang der Zwölftonmusik der Wiener, dem Nachkriegs-Serialismus, entlang der Synthesefigur der Klangsynthese und des Synthesizers hinein in kosmische Schwingungen hatte schon Friedrich A. Kittler inspiriert. Das war zu jener Zeit, als der Literaturwissenschaftler begann, die mathematischen Gesetze hinter dem Klang und der Musik mit dem Lötkolben in der Hand bastelnd nach zu vollziehen. Rauchend vor dem Oszilloskop prüfte er seine selbstgerouteten Schaltungen in den Wellenbildern der Kathodenstrahlspur auf der fluoreszierenden Schicht der Bildröhre.
„Der Synthesizer, hieß es demgemäß in Deleuze/Guattaris Mille plateaux, habe die synthetischen Urteile a priori historisch abgelöst. Dieser wüste Satz aus einer Zeit, als Philosophen noch in Rockkonzerte gingen, mag historisch unhaltbar sein, aber er gibt zu denken. Offenbar sind die Wahrnehmungsmanipulationen, die Augen- und Ohrentäuschungen neuzeitlicher Künste oder Medien also, kein Werk dieser Künste oder Medien selber gewesen.“ – Diese Passage aus dem Aufsatz Phänomenologie vs Medienwissenschaft von 1988 bezeugt einerseits Friedrich Kittlers Grundopposition gegen alle Erkenntnis- und also neuzeitliche Subjekttheorie: Wissenschaft ist Wesensfolge der Technik und nicht umgekehrt. Andererseits, und zur theoretischen Durchdringung des historischen Medienmaterialismus entscheidend, lädt Kittler hier das Synthesizermotiv aus Mille plateaux neu auf und das heißt, er gibt ihm eine andere Bedeutung als in Der Gott der Ohren – so kommentierten Sebastian Döring und ich zwei Jahre nach dem Tod des Begründers einer informationsmaterialistischen Medientheorie auf der Suche nach den Wurzeln dieser in den Schaltungen seines selbstgebauten Synthesizers, wie ihrer begleitenden Kalkulationen und Schaltungsnotate. Aber muss der Ausstellungsbesucher dieses Wissen nachvollziehen können?
Wir hören den Klang der Sprache – elektronische, digital synthetisierte Lautketten, gewandelt in Wechselströme, schallgewandelt von Hornsystemen, lassen die Luft im Raum vibrieren. Hören Sie die Satzmelodien und erkennen in ihnen die Worte: Synthesizer, Oszillator, Filter, Frequenzen, Amplituden, Wellen, Spektren?
Die letzte Bildsequenz der immer gleichen Kameraeinstellung der Videoprojektion zeigt den hinterbliebenen Bauschrott auf Wagen und Karren in dem circa 35m x 35m White Cube des Württembergischen Kunstvereins und ein freigeschältes Horn, dessen Zwilling im Zentrum von Raum V dieser Ausstellung in drei Teilen steht – daneben das lange Posaunenhorn. Der loop dauert 37min.
SYNTH 2: Wie Ihnen das freundliche Personal am Eingang gesagt hat, beginnt jeweils um 14:30; 15:30 und 16:30 Uhr SYNTH 2 in der historischen Bibliothek des Tieranatomischen Theaters. Setzen Sie sich auf das bequeme Ledersofa mit Blick auf ein historisches Ohrmodell oder wandern Sie einfach herum und hören Sie die 21-Kanal Klang-Komposition/Installation. Diese hat einen definierten Anfang und ein definiertes Ende, wie die meisten sich in der Zeit vollziehenden Künste.
„a, e, i, o, u, ä, ö, ü, ä kräftig gegen den Resonanzboden, (…) so klingen ganz deutlich auf den Saiten diese Vocale nach. (…) Es kommt dabei nur darauf an den betreffenden Ton genau zu treffen und festzuhalten. Geübteren Sängern gelingt der Versuch deshalb besser; meiner Frau besser, als mir selbst. Es gelingt auch, aber weniger deutlich, wenn man den Dämpfer von nur einer Saite hebt. Ich halte diese Erfahrung für interessant für die Theorie der Vocale.“
Vor allem aus nachgelassenen Niederschriften von Popularwissenschaftlichen Vorträgen und aus Briefen an sein Frau Anna entstammen die Textmodule der Raum/Klang-Komposition SYNTH2, für das durch ein Hornsystem (mono) zugespielte Ensemble aus Sprecher, 3 Harmonien, sonH-Kontrabass, Bassposaune, Geige, Stimmgabeln, Vibraphon, Klavier und dem für diese Komposition entwickelten sonH-Synth. Dieser besteht aus 20 akustischen Sinustönern – in der Sprache des 19. Jahrhunderts: Apparate zur Hervorbringung einfacher Töne, deren Schwingung sich mathematisch durch eine Sinus- bzw. Cosinus-Funktion abbilden lassen.
„Harmonie und Disharmonie scheiden sich dadurch, dass in der ersteren die Töne neben einander so gleichmässig abfliessen, wie jeder einzelne für sich, während in der Disharmonie Unverträglichkeit stattfindet, und sie sich gegenseitig in einzelne Stöße zer theilen. Sie werden einsehen, wie zu diesem Resultate alles Besprochene zusammenwirkt. Zunächst beruht das Phänomen der Stöße oder Schwebungen auf Interferenz der Wellenbewegung; es konnte deshalb dem Schalle nur zukommen, weil er eine Wellenbewegung ist. Andererseits war für die Feststellung der konsonirenden Intervalle die Fähigkeit des Ohres notwendig, die Obertöne empfinden zu können, und die zusammengesetzten Wellensysteme nach dem Fourier’sehen Satze in einfache aufzulösen. Dass die Obertöne der musikalisch brauchbaren Töne zum Grundtone im Verhältnisse der ganzen Zahlen zu Eins stehen, und dass die Schwingungsverhältnisse der harmonischen Intervalle deshalb den kleinsten ganzen Zahlen entsprechen, beruht ganz in dem Fourier’schen Satze. Wie wesentlich die genannte physiologische Eigentümlichkeit des Ohres ist, wird namentlich klar, wenn wir es mit dem Auge vergleichen. Auch das Licht ist eine Wellenbewegung eines besonderen, durch den Weltraum verbreiteten Mittels, des Lichtäthers, auch das Licht zeigt die Erscheinungen der Interferenz. Auch das Licht hat Wellen verschiedener Schwingungsdauer, die das Auge als verschiedene Farben empfindet, nämlich die mit größter Schwingungsdauer als Roth; dann folgen Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett, dessen Schwingungsdauer etwa halb so groß als die des äussersten Roth ist. Aber das Auge kann zusammengesetzte Lichtwellensysteme, d. h. zusammengesetzte Farben nicht von einander scheiden; es empfindet sie in einer nicht aufzulösenden, einfachen Empfindung, der einer Mischfarbe. Es ist ihm deshalb gleichgültig, ob in der Mischfarbe Grundfarben von einfachen oder nicht einfachen Schwingungsverhältnissen vereinigt sind. Es hat keine Harmonie in dem Sinne wie das Ohr; es hat keine Musik.“
Helmholtz erklärt anhand einfacher Experimente wie dem Singen ins Klavier, wenn man die Dämpfer der Saiten offen lässt, also das rechte Pedal mit dem Fuss betätigt, in das Klavier einen Ton hineine singt und dem Mit- und Nachschwingen lauscht, dann wird man merken, dass mehrere Saiten nachschwingen. Das bedeutet, dass das was für den Musiker bis dahin (und bis heute immer noch) als Ton bezeichnet und empfunden wird, immer schon ein Klang ist. Um die Vocal-Klänge nach zu bilden, entwickelt Helmholtz einen experimentellen Aufbau aus zehn Stimmgabeln und vorgeschalteten Resonatoren, die eine Obertonreihe nachahmen und mit denen er so alle Klangfarben der verschiedene Vocale, die der Mensch im Mundraum durch Gaumen und Zunge – also durch Filtern zu erzeugen in der Lage sind, nun kombinieren kann. Das wird man im Zeitalter elektronischer Klangerzeugung ’additive Synthese‘ nennen. So entsteht Mitte des 19. Jahrhunderts ein erster elektrisch angeregter aber akustischer Synthesizer, um die experimentelle Evidenz für seine Theorie zu bringen, auf denen nicht nur elektronische Medien basieren, sondern auch die Funktion des Innenohres. „Das leibliche Ohr tut immer genau dasselbe, was der Mathematiker vermittelst des Fourier’schen Satzes tut, und was das Klavier mit einer zusammengesetzten Tonmasse tut, es löst die Wellenformen, welche nicht schon ursprünglich, wie die Stimmgabeltöne, der einfachen Wellenform entsprechen, in eine Summe von einfachen Wellen auf, und empfindet den einer jeden einfachen Welle zugehörigen Ton einzeln, mag nun die Welle ursprünglich so aus der Tonquelle hervorgegangen sein, oder sich erst unterwegs zusammengesetzt haben.“
Von 1856 bis zu seiner Veröffentlichung 1862 arbeitet der junge Professor für Anatomie und Physiologie (bis 1858 in Bonn, dann in Heidelberg) an seiner „Lehre der Tonempfindungen“ und schon in dem Vorwort zu seiner ersten Ausgabe dankt er dem König Maximilian von Bayern für die finanzielle Förderung des von ihm entwickelten Apparates zur künstlichen Zusammensetzung von Vocalklängen, da die Kosten dieser Entwicklung seine Hilfsmittel als deutschen Gelehrten überstiegen hätten. Die drei illustrierenden Holzschnitte zu diesem apparativen Aufbau zeigen ein Instrument zum Erzeugen eines „einfachen Tones“. Es besteht aus Stimmgabeln, Spulen an beiden Schenkelenden des Biegeschwingers mit einem verschiebbaren Resonator als akustischem Filter und Verstärker; desweiteren aus einer elektromagnetischen Unterbrecherschaltung, vergleichbar dem Neefschen Hammer, um den gepulsten Strom für die Daueranregung des Schwingers aus dem Gleichstrom der Batterieelemente zu erzeugen sowie drittens, in einer ergänzenden „Beillage“ am Ende der dritten Ausgabe der Tonlehre von 1877, aus der Verschaltung eben von 10 Teiltönen, die einen Klang mit verschiedener Klangfarben synthetisieren können, mit zwei Batterien erweitert um elektrische Elemente, die wir heute als Widerstände und Kondensatoren bezeichnen. Helmholtz beschreibt detailliert sein Abstimmen der Komponenten seines Apparates. Feilend an Schaft oder den Schenkeln der metallenen Stimmgabeln stimmt er sie nach dem Klavier. Die Resonatoren stimmt er mit Wachs oder der Veränderung des Lochs und prüft die Resonanz durch Anblasen wie beim Pfeifen auf einer Flasche und die elektrischen Elemente stimmt er mit Stanniolplatten und einer speziellen Kabelführung.
In dem Katalog von Helmholtz’ Instrumentenbauer Rudolph König, der Ende der 1850er Jahre eine Werkstatt für wissenschaftliche Instrumente in Paris gründet, wird auch „Helmholtz’s large apparatus for compounding timbres of 10 harmonies“ als seriengefertigtes Gerät zum Kauf angeboten. 1889 hat „Der Vocalapparat von Helmholtz mit 10 harmonischen Tönen“ – so unter der englischen Beschreibung in deutsch bezeichnet – ein kompaktes Design mit allen Modulen auf einer Grundplatte und einer Klaviatur, die über ein Zugsystem aus Fäden und Klappen mit Metall-Federn zwischen Stimmgabel und Resonator diesen öffnen oder schließen können. Um die Jahrhundertwende ist der Helmholtzsche Apparat ein Serienprodukt, das u.A. bei dem 1908 gegründeten Chemnitzer Instrumentenhersteller Max Kohl produziert wird. Exemplare befinden sich in den Sammlungen der University of Toronto, von Harvard, der Whipple Collection, des Teylers Museums und zuletzt im Jahre 2014 wurde so ein Apparat von Max Koll für 20.000 US-Dollar versteigert. Keiner dieser Klangkombinatoren ist aber in Funktion ausgestellt.
Der von mir und meinem Team entwickelte und gebaute sonH-Synth ist eine zeitgenössische Adaption, die auf eine kontinuierliche Amplitudensteuerung hin entwickelt ist (musikalisch: maximale Dynamik bei maximalem Wirkungsgrad). Jede Stimmgabel wird von einem Signalgeber mit einem eigenen Kanal vom Rechner gesteuert. Anstatt den Luftschall mit einem nur einseitigen Resonator zu filtern und zu verstärken, lassen wir einen Schenkel mit ganzer Fläche in einer offenen Resonanzröhre schwingen, um nach dem Prinzip einer teil-offenen Röhre mehr Luft in Bewegung zu versetzen. Darum werden die Stimmgabeln beim sonH-Synth auch nur einseitig elektromagnetisch angeregt. Der sonH-Synth hat zwei baugleiche „Sinustöner“-Sätze mit jeweils 10 Teiltönen, von denen ein Satz manipuliert wird, in der Manier des hardware-hacking oder -bending. Das bedeutet, das an ihm Modifikationen durch Verstimmen der Steuerfrequenzen, Phasenverschiebungen oder das Anbringen von kleinen Gewichten vorgenommen werden. Das erlaubt mir als dem Komponisten, „Artefakte“ im System, z. B. Schwebungen und so auch komplexe Klangverläufe innerhalb der einen naturtönigen Harmonie zu erzeugen, bis hin zu Mikrotonalitäten und rhythmischen Phasendifferenzen – und diese in langen Klangmodulationen präzise über einen Computer zu steuern.
Es handelt sich bei dem Apparat also um einen, zwar 20-tönigen, aber in der immer noch nicht physikalisch-akustisch angeglichenen Sprache der Musik wörtlich „mono-tonen“ (additiven) Synthesizer. In seiner Gestaltung sind moderne Techniken und Materialien mit historischen aus der Helmholtz-Zeit vereint. Verbunden und verbaut sind Patent-Aluminiumklemmen, Kunststoffwickelkörper, handgefertigte Stimmgabeln nach alten Vorbildern mit aktueller Messtechnik in Eisen gestimmt, ein Gussgehäuse, selbst entwickelte und gebaute Schaltungen/Platinen, neben Mahagoni-furnierter Tischlerplatte, Massivhölzern, Kork und einem Biedermeiertisch aus Nussbaum von circa 1860.
Es ist eine neue Musikapparatur, in der knapp 170 Jahre Instrumentenbau amalgamiert sind: Ein computergesteuertes, elektromagnetisch angeregtes, akustisches Instrument, dass bisher ungehörte Klänge erzeugen kann.
I Physiologie und Musik / Mänaden und Rausch
III Hornsysteme
IV C.plexus solaris und RUNDFUNK AETERNA
VI temporäre Editionswerkstatt für Friedrich Kttlers Synthesizer und Schaltungen für seine gesammelten Schriften (Sebastian Döring / Jan-Peter E.R. Sonntag)
sonD-Bass
Exponaten-Liste
I Physiology and Music/Mänaden und Rausch// SYNTH#1
V C_plexus solaris & RUNDFUNK AETERNA
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